...dort neben dem großen Tor mit dem Rundbogen“, wies er den Fahrer an. Er zahlte, stieg aus und schob sich, als er sich aus der gebückten Haltung aufgerichtet hatte zu kerzengerader, voller Größe, mit zwei behutsam gezirkelten, einstudierten Handbewegungen die Haare aus der Stirn. Das tat er immer an dieser Stelle, wenn er zu ihr fuhr. Er wußte, daß sie bereits am Fenster stand und auf ihn wartete, ihn beobachtete bei der Ausführung dieser Geste, die typisch für ihn war, wie sie ihm mehrfach gesagt und ihn danach jedesmal leidenschaftlich geküßt hatte. „So wie du das machst, dieses flüchtige und dennoch so konzentrierte, aber empfindsame Zurückschieben und dann diese einzigartige Kopfdrehung dazu... das zeigt deine unheimliche Sensibilität und deine unglaubliche Ausstrahlung“, war die Begründung ihres Entzückens gewesen. „Es ist so erotisch... so wahnsinnig erotisch, wie du das machst. Keine Frau hält das aus, ohne schwach zu werden und nur den Wunsch zu haben, von dir an ihrem Körper berührt zu werden und dich dabei ganz fest in ihre Arme zu nehmen.“ Kaar hatte Isabel Wertheim zunächst am Telefon kennengelernt und dann persönlich erlebt, als er sich mit ihr drei Tage später zu einem Interview-Termin in ihrem Haus verabredete. Ihre Nummer war von ihm zufällig ausgewählt worden, während er beim Durchblättern des Telefonbuchs nach neuen Kundinnen suchte. Das Thema, zu dem er sie im Auftrag des Instituts befragen wollte: Wächst parallel zur technischen Ausstattung einer Küche die Lust, vermehrt zu kochen? Die 47jährige Ehefrau eines Rohstoff-Händlers, der mit Kupfer und Getreide ein Millionen-Vermögen verdiente, wollte Kaar eigentlich sofort wieder loswerden, als er auf sie einsprach und sie zu überreden versuchte, ihm mit ihren Angaben beim Ausfüllen des Fragebogens behilflich zu sein. Seine tiefe, entspannte Stimme, sein Lachen, seine betörende Art, im Wechsel von Spaß und Ernsthaftigkeit mit Wörtern umzugehen und seine hohe, jesuitische Sprechgeschwindigkeit hatten sie schließlich doch umgestimmt und ihm ein Treffen eingeräumt. Sie war neugierig geworden auf ihn. Sie wollte wissen, wer er ist. Sie wollte ihn sehen. Sie wollte prüfen, ob er ihr gefällt. Ihr zweiter Mann, ein nüchterner, auf Preise, Gewichte und Mengen erpichter Unternehmer, befand sich seit mehr als drei Wochen auf einer Geschäftsreise in Mittel- und Südamerika. Wie bei jedem von Kaars Besuchen bei Isabel Wertheim öffneten sich, ausgelöst durch einen Summton, die beiden Torflügel automatisch, als er noch wenige Schritte vom Eingang zum Park entfernt war und ohne, daß er die Klingel gedrückt hatte. Aus dem Lautsprecher der Rufanlage hörte er ihre Stimme sagen: „Willkommen... herzlichst. Du mußt mich suchen. Wenn du klug bist, weißt du, wo ich bin...“ Ein reflexartiges, schnell abklingendes Lächeln umspielte seinen Mund, während er über den Kiesweg auf die weiße Jugendstil-Villa zuging. Abgesehen von der ersten Visite bei ihr, als sie ihn im Salon empfing, wußte er seit dem zweiten Treffen mit ihr nur zu genau, wo sie sich aufhielt, wenn sie ihn erwartete. Sie war noch nie an einem anderen Ort gewesen. Thomas Kaar konnte außerdem, aufgrund seiner Erfahrungen, voraussehen, was sie noch vorbereitet hatte: die Haustür würde aufstehen und eine Spur ihres Parfüms würde ihn ins oberste Stockwerk unter das Dach führen - geleitet von mehreren hundert Tropfen „Wish“, die sie im Abstand von wenigen Zentimetern auf den Teppichboden geträufelt hatte und die ihn, wie ein Jagdhund die Blutspur eines waidwunden Rehs verfolgt, immer der Nase nach direkt in ihre Arme treiben sollten. Das einzige, was er nicht erahnte und was ihn wirklich aufs Neue überraschte, waren ihre Inszenierungen, die sie zum Auftakt seines Eintreffens in zunehmender Erregung vorbereitet hatte. weiter lesen
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